Europäischer Gerichtshof (EuGH) stärkt Verbraucherrechte und kippt mit Urteil vom 26.03.2020 eine seit 2010 millionenfach verwendete Formulierung in deutschen Belehrungen über das Recht zum Widerruf (Urteil v. 26.03.2020 – Rs C-66/19, „Kreissparkasse Saarlouis“). Findet sich die vom EuGH beanstandete „Kaskadenverweisung“ im Kreditvertrag, ist die erforderliche Belehrung über das Recht zum Widerruf unzureichend und ein Widerruf heute noch möglich.
Über was hatte der EuGH zu entscheiden?
In dem vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 26.03.2020 in der Rechtssache C-66/19 („Kreissparkasse Saarlouis“) entschiedenen Fall hatte die Widerrufsbelehrung bzw. „Widerrufsinformation“ einer deutschen Sparkasse auf dem Prüfstand gestanden. Gestritten wurde über die Wirksamkeit eines Widerrufs bzw. einer Belehrung über das Recht zum Widerruf in einem Kreditvertrag für einen Immobilien-Kredit aus dem Jahre 2012. Hier hatte der Verbraucher vor Ende der Zinsbindungsfrist den Widerruf erklärt. Der Text der Belehrung über das Recht zum Widerruf lautete dort auszugsweise wie folgt:
Widerrufsrecht
Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. [… ]
Entscheidung des EuGH zum Widerruf:
Mit Urteil vom 26.03.2020 hat der EuGH in der Rechtssache C-66/19 („Kreissparkasse Saarlouis“) nun festgestellt, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. p RL 2008/48/EG dahin auszulegen ist, dass zu den Informationen, die nach dieser Bestimmung in einem Kreditvertrag in klarer, prägnanter Form anzugeben sind, die in Art. 14 Abs. 1 Unterabsatz 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist gehören. Artikel 10 Absatz 2 Buchstabe p dieser Richtlinie, so der EuGH weiter, stehe dem entgegen, dass eine Widerrufsbelehrung („Widerrufsinformation“) in einem Kreditvertrag „hinsichtlich der in Art. 10 genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift [§ 492 Abs. 2 BGB, Anm. d. Verf.] verweist, die wiederum selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaats verweist“.
Das bedeutet, dass nach Ansicht des EuGH eine Information über das Recht zum Widerruf mit einer komplizierten „Kaskadenverweisung“, wie sie von der im Ausgangsverfahren beim Landgericht Saarbrücken beklagten Sparkasse unter der Überschrift „Widerrufsinformation“ in einen Darlehensvertrag für eine Immobilienfinanzierung aufgenommen worden war, gemessen an EU-Recht als unzureichend zu qualifizieren ist. Weil eine unzureichende Widerrufsbelehrung bzw. „Widerrufsinformation“ die Frist für den Widerruf nicht in Lauf setzen kann, besteht in solchen Fällen vielfach auch heute noch ein Recht zum Widerruf, das vom Verbraucher auch ausgeübt werden kann.
Welche Banken sind betroffen?
Die Entscheidung betrifft grundsätzlich nahezu alle Darlehensverträge von Sparkassen, Volksbanken und anderen Genossenschaftsbanken wie z.B. der PSD Bank oder der Sparda-Bank, die in der Zeit ab dem 11.06.2010 abgeschlossen worden sind und die vom EuGH beanstandete Information über das Recht zum Widerruf mit einer sog. „Kaskadenverweisung“ enthalten. Gleiches gilt für BHW, Deutsche Bank, DSL Bank, ING-DiBa AG, Postbank oder auch diverse Versicherungen.
Welche Kredite sind betroffen?
Neben der im Ausgangsverfahren beim Landgericht Saarbrücken streitgegenständlichen klassischen Baufinanzierung, die das BGB heute als „Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag“ bezeichnet, sind auch Kredite zur Finanzierung von neuen oder gebrauchten PKW (Auto-Kredite), PKW-Leasingverträge, Allzweckdarlehen, Privatdarlehen und alle anderen Kredite für Verbraucher („Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag“) aus der Zeit ab dem 11.06.2010 betroffen. Die Produktbezeichnung der Bank oder der Gegenstand der Finanzierung spielen dabei keine Rolle. Eine wichtige Einschränkung gilt allerdings für Immobilienfinanzierungen, die nach dem 20.03.2016 abgeschlossen worden sind, weil der Gesetzgeber in § 356b BGB das Widerrufsrecht für den Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag mit Gesetz vom 11.03.2016 mit Geltung ab dem 21.03.2016 auf zwölf Monate und 14 Tage beschränkt hat (§ 356b Abs. 2 S. 4 BGB).
Betroffen sind demnach grundsätzlich alle Kreditverträge und Leasingverträge mit Datum ab dem 11.06.2010 bis heute (§ 356 Abs. 3 Satz 3 BGB). Eine Ausnahme gilt nur für Immobilien-Kredite mit Datum ab 21.03.2016. Findet sich in den entsprechenden Verträgen die vom EuGH in der Rechtssache C-66/19 beanstandete Formulierung („Kaskadenverweisung“), kann auch heute noch ein Recht zum Widerruf bestehen und Verbrauchern z.B. eine vorzeitige Beendigung des Darlehens ohne Vorfälligkeitsentschädigung (Vorfälligkeitsentgelt) ermöglichen.
Welche Folgen wird das Urteil vom Urteil vom 26.03.2020 in der Rechtssache C-66/19 („Kreissparkasse Saarlouis“) haben?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht abschließend geklärt, welche Folgen das Urteil des EuGH vom 26.03.2020 in der Rechtssache C-66/19 („Kreissparkasse Saarlouis“) für die deutschen Verbraucher haben wird. Da der Gesetzgeber in der Bundesrepublik Deutschland für Unternehmer die Möglichkeit geschaffen hat, für die Information des Verbrauchers über das Recht zum Widerruf auf einen Mustertext zurückzugreifen, der bei ordnungsgemäßer Verwendung im Darlehensvertrag über eine sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“ zu einer wirksamen Widerrufsinformation führt, dürfte in den Fällen, in denen das Muster tatsächlich in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form ohne verunklarende Zusätze übernommen worden ist, wirksam belehrt worden sein. Das würde bei einer Verwendung des Musters also auch dann gelten, wenn sich im Text der Widerrufsinformation die beanstandete „Kaskadenverweisung“ findet. Obwohl der EuGH im Urteil vom 26.03.2020 in der Rechtssache C-66/19 („Kreissparkasse Saarlouis“) in einem Fall entschieden hat, in dem es um ein grundpfandrechtlich gesichertes Immobiliardarlehen geht, wird die Rechtsprechung in Deutschland sich zudem mit der Frage auseinandersetzen, ob die Verbraucherkreditrichtlinie auf entsprechende Finanzierungen überhaupt Anwendung findet.
Warum kann ein Widerruf sinnvoll sein?
Besteht ein Recht zum Widerruf, weil die Widerrufsbelehrung („Widerrufsinformation“) im Sinne der Entscheidung des EuGH oder aus anderen Gründen fehlerhaft ist, können Verbraucher durch die Erklärung des Widerrufs ohne Vorfälligkeitsentschädigung bzw. Vorfälligkeitsentgelt vor Ablauf der Zinsbindungsfrist aus belastenden Kreditverträgen aussteigen. Nach Widerruf und erfolgreicher Rückabwicklung können Zinsen eingespart oder es kann zu aktuell günstigen Konditionen neu finanziert werden. Der Kreditnehmer kann von der Bank im Rahmen der Rückabwicklung sogar Zinsen auf die bislang geleisteten Zahlungen verlangen, die mit der Zinsforderung der Bank zu verrechnen wären.
Lohnen kann sich der Widerruf auch bei einer PKW-Finanzierung, weil Verbraucher dann einen Anspruch auf Erstattung des ursprünglichen Kaufpreises für das Fahrzeug haben und allenfalls eine Entschädigung für gefahrene Kilometer zahlen müssen. Vorteil ist hier insbesondere, dass hohe Wertverluste durch Fahrverbote für Diesel-PKW mit alten Schadstoffklassen (z.B. Euro 5) vermieden werden . Bei der PKW-Finanzierung und beim PKW-Leasing kann der Widerruf auch dann sinnvoll sein, wenn die Belastung aus den Verträgen aktuell nicht tragbar ist. So fließen bei einem erfolgreichen Widerruf die Anzahlung und die geleisteten Raten an den Verbraucher zurück.
Was muss man vor einem Widerruf beachten?
Verbraucher sollten sich vor einem Widerruf unbedingt durch einen im Bankrecht versierten Rechtsanwalt beraten lassen, weil eine solche Erklärung erhebliche Rechtswirkungen entfaltet und auch mit Verpflichtungen verbunden ist. So muss eine Immobilienfinanzierung nach einem erfolgreichen Widerruf natürlich rechtzeitig zurückgezahlt und ggf. kurzfristig eine neue Finanzierungsmöglichkeit gefunden werden, erklärt Rechtsanwalt Keunecke aus Hannover, der als Fachanwalt für Bank und Kapitalmarktrecht in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Mandanten gegenüber Banken bundesweit vertreten hat.
Nähere Informationen und Beratung bundesweit:
Kanzlei Keunecke – Hannover
Rechtsanwalt Matthias Keunecke, LL.M.
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Kontakt: 0511 3400624